„Es war klar, die hören nicht auf.“ Klaus und Christina Lipps im Gespräch

von Mirjam Schnorr

Das Forschungsprojekt „Verfassungsfeinde im Land?“ hat sich zum Ziel gesetzt, die vom „Radikalenerlass“ im Südwesten Betroffenen mit in die wissenschaftliche Erarbeitung der Inhalte des Themas einzubeziehen. Ihre Geschichten aus „erster Hand“ lassen einen anderen, mitunter differenzierteren Blick auf die sonst beinahe ausschließlich schriftliche Quellenüberlieferung zu. Das Ehepaar Klaus und Christina Lipps hat das Team des Forschungsprojekts im Juni dieses Jahres zu sich nach Baden-Baden eingeladen und gab in überaus großzügiger Art und Weise Einblicke in das von ihnen mit der „Radikalen-Abwehr“ im öffentlichen Dienst seit Beginn der 1970er-Jahre persönlich Erlebte.

Klaus Lipps, geboren 1941 in Freiburg, heute gemeinsam mit seiner Ehefrau Christina Lipps wohnhaft in Baden-Baden, studierte während der 1960er-Jahre Französisch und Sport auf Lehramt an der Universität Freiburg. 1969 legte er sein Erstes Staatsexamen ab. Hiernach schlossen sich eine zusätzliche Schulung in Mathematik, die zum Unterstufenunterricht auch in diesem Fach berechtigte, sowie das Referendariat an. Letzteres konnte Lipps an dem Gymnasium in Freiburg absolvieren, wo er selbst auch sein Abitur gemacht hatte. 1971 trat Lipps seine erste Dienststelle als Beamter auf Probe am Gymnasium in Bühl nahe Baden-Baden an. Im gleichen Jahr wurde er Mitglied in der DKP und er und seine Frau heirateten zudem im Sommer. Als Lehrer in Bühl ging es Lipps, laut seinen eigenen rückblickenden Aussagen, „sehr gut“, obwohl sein Kollegium überwiegend politisch konservativ eingestellt war. Lipps betätigte sich außerdem schon zu dieser Zeit aktiv als Gewerkschafter – bereits 1970 war er der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beigetreten – und warb in diesem Zusammenhang auch zahlreiche neue Mitglieder an.

Der Entschluss Lipps’, in die DKP einzutreten, basierte zum einen auf seinen Erfahrungen als Kind und Jugendlicher: Der Vater, ebenfalls Lehrer, war während des „Dritten Reiches“ Ortsgruppenleiter der NSDAP gewesen. Die einschlägige NS-Vergangenheit des Vaters beschäftigte Lipps und er hinterfragte sie, jedoch konnten er und sein Vater darüber „nie vernünftig […] reden“. Es gab demzufolge „viel Krach zuhause“. Antworten und Halt fand Lipps vielmehr bei einer Familie, die mit ihm und seinen Eltern im gleichen Haus wohnte. Das waren, wie er erzählt, „Kommunisten“ und sie „imponierten“ ihm, weil sie „ruhig und nüchtern diskutierten“ und „keine Sprüche klopften“. Bei ihnen fühlte er sich „wohler […] als zuhause“. Diese Entwicklungen und Prägungen nennt Lipps den „Grund“, warum er selbst Kommunist geworden ist. Entscheidend war für ihn zum anderen jedoch auch, dass er sich Anfang der 1970er-Jahre, nach dem Abschluss des Studiums in Freiburg, ohnehin politisch engagieren wollte; Bekannte und Freunde traten ebenfalls in verschiedene Gruppierungen ein und für Lipps vertrat die DKP die für ihn und seine Positionen passendste „Weltanschauung“. Die kommunistische Partei und die Aussagen ihrer Angehörigen hatten für ihn „Hand und Fuß“ gehabt, sie schienen ihm „vernünftig“, sodass er sich ihnen anschloss.

Klaus und Christina Lipps im Zeitzeugeninterview am 25. Juni 2020 in Baden-Baden. Eigenes Foto.

1974 stand Lipps’ Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit und seine Ernennung zum Studienrat an. „Radikalen“- bzw. „Schiess-Erlass“ waren inzwischen allerdings formuliert worden. Daher musste das Oberschulamt Karlsruhe eine Regelanfrage beim baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz stellen. Lipps erhielt in diesem Zusammenhang zunächst, so berichtet er im persönlichen Gespräch, am Ende eines Schultages im Frühjahr 1974 einen Telefonanruf in seinem Bühler Gymnasium. Der Anrufer – vermutlich handelte es sich hierbei um einen Mitarbeiter des Innenministeriums oder Verfassungsschutzes – blieb laut Lipps’ Aussagen anonym und wollte von ihm lediglich seine letzten drei Adressanschriften genannt haben. Er machte die gewünschten Angaben und somit hatte der Verfassungsschutz Kenntnis davon bekommen, dass er „der Klaus Lipps ist, den man kennt aus Freiburg.“ Die hierauf ergangene Erkenntnismitteilung des Verfassungsschutzes dokumentierte schließlich, dass Lipps sich, neben seiner Mitgliedschaft und Funktionärstätigkeit beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in Freiburg Ende der 1960er-Jahre, 1971 zusätzlich der DKP angeschlossen hatte und mehrfach bei Parteiveranstaltungen aufgetreten war.

Es folgten diverse Anhörungen durch das Oberschulamt Karlsruhe, bei denen es vorrangig immer wieder um seine Zugehörigkeit zur DKP und nicht etwa um das Grundgesetz an sich oder beispielsweise auch um seine Haltung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ging. Lipps vertrat in diesen Anhörungen, ebenso wie in schriftlichen Stellungnahmen seinerseits – das betont er auch heute –, stets die Meinung, dass „Zweifel an der Verfassungstreue“ nicht durch die Mitgliedschaft in einer legalen Partei wie der DKP begründet werden könnten. Im Allgemeinen hatte er, damals und auch in der Retrospektive, bei alledem „nicht das Gefühl“, dass es sich um „etwas Schlimmes“ handeln könnte, denn verboten war es freilich nicht gewesen, sich in der DKP zu engagieren. Zur „freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes“ hingegen hatte sich Lipps ganz zweifelsfrei bekannt und er versicherte derzeit auch offiziell, „aktiv für ihre Erhaltung und ihren Ausbau einzutreten.“

Am 28. Mai 1975 erhielt Lipps dennoch vom Oberschulamt Karlsruhe eine amtliche Entlassungsverfügung aus dem öffentlichen Dienst zum Ende des laufenden Schuljahres. Er war fortan „nicht mehr berechtigt, die Dienstbezeichnung Studienassessor zu führen“. Mit seiner Tätigkeit für den SDS und die DKP hatte er, laut der Argumentation des Bescheids, gegen seine Beamtenpflichten verstoßen. Folgendes wurde zur näheren Erklärung ausgeführt: „Wer die Lehren von Marx, Engels und Lenin verwirklichen will, kann das nur außerhalb der Verfassung und gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung tun, auch wenn er selbst erklärt, auf dem Boden dieser Grundordnung zu stehen und sie anzuerkennen und angibt, sein Verhalten lasse sich mit der Verfassung in Einklang bringen.“ Lipps klagte gegen seine Entlassung und durfte mit Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe von November 1975 tatsächlich erst einmal wieder zurück an die Schule und in den Unterricht – bis ein rechtskräftiges Urteil in seiner Sache vorliegen sollte.

Bereits da hatte sich auch schon eine umfassende Solidaritätsbewegung für Lipps und gegen sein „Berufsverbot“ in Bühl gebildet: Schüler, Freunde sowie Kollegen sicherten ihm ihre Unterstützung zu. Sie bildeten den „Arbeitskreis gegen Berufsverbote Bühl“ und arbeiteten in Bühl nunmehr gemeinsam und gründlich an dem Fall, sammelten Informationen und analysierten die gesamte Situation rund um den „Radikalenerlass“ und seine Auswirkungen in all ihren Facetten. Ihre Strategie war, möglichst breit mit der stark umstrittenen Angelegenheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Als „großer Trumpf“, das unterstreicht Lipps rückblickend, erwies sich bei ihre Arbeit und auch in der öffentlichen Debatte die Tatsache, dass er in Bühl schon drei Jahre als Lehrer gearbeitet hatte. Es war also bekannt, wie er seinen Unterricht gestaltete, und dass er „ein guter Lehrer“ war. Darauf konnte er sich während seines nachfolgenden Verfahrens immer wieder stützen.

Der Fall Lipps’ rief nicht nur im deutschen Inland, sondern auch im europäischen Ausland große Resonanz und Anteilnahme hervor. Besonders in Frankreich – was wiederum für Lipps als Französisch-Lehrer nahelag und ihm v. a. die Möglichkeit bot, direkt vor Ort und bei Vorträgen über die Praxis der „Berufsverbote“ in der Bundesrepublik zu berichten, war die Solidarität groß. Dies alles bezeichnen Klaus und Christina Lipps als „ungeheure Stütze“ und als „sehr tragend“ für ihr jahrelanges Engagement gegen den „Radikalenerlass“ und seine Anwendung in der Bundesrepublik.

Nachdem unmissverständlich feststand, dass ein gerichtlicher Prozess in der Sache von Klaus Lipps’ „Berufsverbot“ unabwendbar sein würde, suchte sich das Ehepaar einen Anwalt. Letztlich konnten sie einen jungen Juristen aus Karlsruhe verpflichten, der sich für sie als Glücksfall erweisen sollte und der sie beide über die Jahre vertrat und „wunderbar begleitete“.

Im November 1976 kam es sodann zum erwarteten ersten Prozess für Klaus Lipps. Das Karlsruher Verwaltungsgericht entschied im Zuge dessen in erster Instanz, dass die Kündigung, die das Oberschulamt im Jahr zuvor gegen Lipps ausgesprochen hatte, als „rechtswidrig“ einzustufen sei: Die „Begehung eines Dienstvergehens, das bei einem Beamten auf Lebenszeit die Ahndung im förmlichen Disziplinarverfahren zur Folge hätte“, konnte ihm dezidiert nicht nachgewiesen werden und die „bloße Mitgliedschaft in der DKP“ stellte aus Sicht der Richter „keine disziplinarisch zu ahndende Pflichtverletzung des Klägers dar.“ Damit hätte die Angelegenheit für Lipps eigentlich geklärt und abgeschlossen sein können, doch das Land ging gegen das Urteil in Berufung und der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg musste in zweiter Instanz eingeschaltet werden. Von diesem erwarteten sich die Lipps zunächst nicht viel bzw. „nichts Positives“, denn er galt ihnen vielmehr als „berüchtigt“, angesichts der bis dato von dort ergangenen Rechtsprechung in anderen vergleichbaren Fällen. Doch das Urteil, das am Nachmittag des 17. Mai 1977 ergehen sollte, erwies sich für sie als „sensationell“, denn sie gewannen auch dort; der Verwaltungsgerichtshof hatte sich mit seinem Verdikt größtenteils der Argumentation des Verwaltungsgerichts Karlsruhes angeschlossen. Klaus und Christina Lipps führen diesen Erfolg, neben dem Druck auf das Gericht, den die „gigantische öffentliche Aufmerksamkeit“ für den Fall beförderte, v. a. auf eine Taktik ihres Anwalts zurück: dieser konnte dem Gericht, ohne die Gefahr eines „Gesichtsverlusts“ für eben jenes, ein juristisches „Schlupfloch“ bieten, indem er dafür plädiert hatte, dass Lipps in Bezug auf seine DKP-Mitgliedschaft kein „schuldhaftes Handeln“ im „Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit“ nachzuweisen sei. Dem folgte der Verwaltungsgerichtshof offenkundig und gab zu Protokoll, dass es Lipps an eben „diesem Bewußtsein“ grundlegend gefehlt habe; das sei insbesondere auch daran zu erkennen gewesen, dass er im Laufe des Verwaltungsverfahrens wiederholt davon ausgegangen war, „daß die Mitgliedschaft in einer verfassungsgerichtlich nicht verbotenen Partei durch das Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG) gedeckt und deshalb nicht rechtswidrig sei.“ Der Tag des Urteils durch den Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ist dem Ehepaar Lipps dabei ganz besonders in Erinnerung geblieben, denn nur zwei Wochen zuvor war ihre Tochter geboren worden, die sie an diesem Tag des 17. Mai 1977 – das zeigt die Bedeutung und Wichtigkeit, die die Entscheidung hinsichtlich des „Berufsverbots“ für Klaus Lipps für die gesamte Familie hatte – in der Obhut der Großmutter lassen müssen.

Noch bevor der erste Prozess 1977 abgeschlossen werden konnte, war Lipps 1976 an das Richard-Wagner-Gymnasium in Baden-Baden versetzt worden, und ab Ende 1977 drohte ihm bereits ein weiteres Entlassungsverfahren: Der Verfassungsschutz hatte auf erneute Anfragen des Innen- und Kultusministeriums weitere Erkenntnisse über Lipps mitgeteilt. Das Oberschulamt Karlsruhe erachtete zudem seine Mitgliedschaft bei der DKP unverändert als ein Dienstvergehen. Lipps habe überdies – so führte das Oberschulamt anderweitig aus – gleichermaßen seine Dienstpflichten verletzt, indem er sich während des damals laufenden Verfahrens „mehrfach in eigener Sache an die Öffentlichkeit gewandt“ hatte. Daraufhin folgten erneut Klagen, Widersprüche und Anhörungen. Am 26. April 1979 dann wies das Oberschulamt Karlsruhe den Widerspruch Lipps’ gegen seine zweite Entlassung endgültig zurück und Lipps stand wieder offiziell unter „Berufsverbot“. Das Verfahren zog sich jedoch anschließend relativ lange hin und erst am 1. September 1982 hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Entlassungsverfügung wiederum auf. In der Zwischenzeit hatte Lipps trotzdem normal unterrichten können. Nachdem schließlich die Entlassung 1982 amtlich für unwirksam erklärt worden war, ging das Land allerdings zum wiederholten Mal in Berufung und der Fall kam zur erneuten Verhandlung vor den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Dieser entschied mit einem Urteil vom 18. September 1985, also nunmehr sechs Jahre, nachdem Klaus Lipps seine zweite Entlassung bekommen hatte, von Neuem zu seinen Gunsten. Die sich hieran anschließende Revisionsbeschwerde des Landes – eine Revision war vom Verwaltungsgerichtshof zuvor untersagt worden – wurde schließlich mit Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts am 21. Mai 1986 abgelehnt. Hiermit war Lipps’ zweites „Berufsverbots“-Verfahren abgeschlossen.

Mitnichten war die Angelegenheit jedoch mit dem Richterspruch des Bundesverwaltungsgerichts auf Abweisung der Revisionsbeschwerde im Mai 1986 erledigt, denn schon im Juni des gleichen Jahres, also nur einen Monat später, stellte das Oberschulamt Karlsruhe erneut eine Anfrage über Lipps beim Innenministerium und beim Verfassungsschutz. Weitere Erkenntnisse wurden im September 1986 mitgeteilt: Lipps habe im August des vorherigen Jahres die Betriebszeitung der DKP – „der Anlasser“ – für die Belegschaft der Daimler-Benz AG in Gaggenau verteilt und sich in der Vergangenheit erneut öffentlich zu seiner Mitgliedschaft in der DKP bekannt. Das Innenministerium beabsichtigte, auch diese Erkenntnisse zu verwerten und zur Weitergabe vorzuschlagen. Der Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder kündigte parallel hierzu, wie es Klaus und Christina Lipps berichten, während eines öffentlichen Gesprächs mit Gewerkschaftern eine dritte Entlassung an – mit den Worten: „Den Lipps krieg ich raus!“. Darüber, dass erneut bzw. zum dritten Mal beabsichtigt wurde, Klaus Lipps aus dem Dienst zu entfernen, erhielt das Ehepaar auch eine schriftliche Benachrichtigung und „[e]s war klar, die hören nicht auf.“ Verhindert wurde Lipps’ neuerliche Kündigung dann allerdings durch Lothar Späth, Ministerpräsident von Baden-Württemberg in den Jahren von 1978 bis 1991. Späth war von Lipps 1986 beim Parteitag „40 Jahre CDU Baden-Württemberg“ in Baden-Baden direkt mit seinem Fall konfrontiert worden – die dortigen „Berufsverbote“-Gegner hatten es sich ohnehin zur „Gewohnheit“ gemacht, dass sie, immer wenn Späth in die umliegende Gegend kam, in ihrer Sache demonstrierten und damit ihrer Kritik an der Praxis des „Radikalenerlasses“ nicht nur in Baden-Württemberg, sondern in der gesamten Bundesrepublik Ausdruck verliehen. Sinngemäß hatte Lipps, wie er retrospektiv ausführt, zu Späth gesagt, dass es „nun reichen“ würde und „sie aufhören sollten“, seine Entlassung voranzutreiben. Er forderte von Späth, dass sein Verfahren zu den Akten gelegt und er zum Studienrat sowie zum Beamten auf Lebenszeit ernannt werde. Späth versicherte, laut der Erzählung Klaus und Christina Lipps’, den Fall prüfen zu lassen. Sie beschreiben Späth dabei generell als „umgänglich“, als „souverän“, in derlei Fragen. Tatsächlich wurde Lipps dann wenig später zum Studienrat und Beamten auf Lebenszeit ernannt.

Jedoch hätte es Lipps zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum Studienrat und Beamten auf Lebenszeit eigentlich zugestanden, bereits Oberstudienrat zu sein und infolgedessen auch höhere Bezüge zu erhalten. Als er dies für sich auf juristischem Wege einzufordern suchte, „ging es wieder los mit den Anhörungen“. Dieses Mal war in diesen Gesprächen jedoch nicht vorrangig seine DKP-Mitgliedschaft das Thema, sondern es wurde seine Haltung zur sowjetischen Intervention in Afghanistan seit 1979 abgefragt. Als letzten Endes verantwortlich dafür, dass Lipps schließlich erst Anfang November 1991 seine Ernennung zum Oberstudienrat erhielt, sehen Klaus und Christina Lipps v. a. einen ganz bestimmten „Chefanhörer“ und „Überzeugungstäter“ in der Umsetzung des „Radikalen“- bzw. „Schiess-Erlasses“ beim Oberschulamt Karlsruhe. Erst als dieser, G., Ende Oktober 1991 in Pension gegangen war, bekam Lipps seine Ernennungsurkunde. Tatsächlich war im Juli 1991 noch einmal eine offizielle Anfrage an das Innenministerium hinsichtlich vorliegender relevanter Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über Klaus Lipps gestellt worden. Diese musste jedoch von dort zurückgewiesen werden, da sie durch das nunmehr geltende Landesverfassungsschutzgesetz nicht mehr gedeckt war. Das ausstehende Gehalt allerdings, das Lipps noch rückwirkend hätte gewährt werden müssen, konnte er letztlich nicht mehr rechtlich geltend machen – hier ließen sich Klaus und Christina Lipps, so sagen sie, von den entscheidungsbefugten Behörden „aufs Kreuz legen“, weil sie zunächst Aufschiebungen und Verströstungen akzeptieren mussten. Plötzlich waren die Verjährungsfristen jedoch von 30 auf drei Jahre verkürzt worden, womit Lipps’ Anspruch verjährt war. Nachdem diese letzte Auseinandersetzung mit dem Oberschulamt Karlsruhe beendet worden war, konnte Klaus Lipps endlich „ohne Probleme“ als Lehrer in Baden-Baden arbeiten und er hat – das beteuert er mehrfach – seine „Arbeit sehr geliebt“. 2006 ging Lipps nach dreißig Jahren, die er als Lehrer am Richard-Wagner-Gymnasium in Baden-Baden verbracht hatte, in Pension.

Christina Lipps verdeutlicht im Gespräch, dass zu Anfang des Verfahrens ihres Mannes „kein Mensch“ den zeitlichen Umfang und die enormen Belastungen dessen hatte absehen können. Wenn sie beide gewusst hätten, dass beinahe zwei Jahrzehnte vergehen sollten, bis er vollständig verbeamtet seiner Arbeit als Lehrer würde nachgehen können, wären sie diesen Weg eventuell nicht gegangen. So haben sie sich jedoch vielmehr bei jedem erfolgreichen Schritt gesagt, „jetzt können wir nicht aufhören‘“. Der jahrelange Rechtsstreit mit all seinen Begleiterscheinungen entpuppte sich dabei für Klaus und Christina Lipps als „unheimlich hart“ und das „Berufsverbot“ hing stets wie ein „Damoklesschwert“ v. a. über ihm, aber auch über ihnen als Ehepaar. Das hatte nicht nur Auswirkungen auf ihr berufliches oder alltägliches Leben, sondern „hat seelische Spuren – Schleifspuren – hinterlassen“, wie Christina Lipps es beschreibt. Sie selbst, Jahrgang 1948, war nach dem Studium an der Pädagogischen Hochschule Freiburg für das Lehramt an Realschulen (Mathematik, Deutsch) ebenfalls im Zuge des „Radikalenerlasses“ auf Anfrage des Oberschulamts Freiburg 1974 überprüft worden. Über sie hatten allerdings keine „gerichtsverwertbaren Erkenntnisse“ vorgelegen und sie trat regulär ihre erste Dienststelle als Beamtin auf Probe an der Realschule in Bühl an. Sie war und ist mit betroffen vom „Berufsverbot“ ihres Ehemannes. Weil sie u. a. 1978 eine Zeitungsanzeige mit dem Titel „Klaus Lipps soll Lehrer bleiben!“ unterschrieben hatte, drohte man ihr zwischenzeitlich sogar gleichermaßen die Entlassung an. Mit der Hilfe ihres Anwalts und durch massiven Widerspruch dagegen konnte sie dies jedoch abwenden und das Verfahren gegen sie musste eingestellt werden. In die DKP war sie – z. T. aus taktischen Gründen, um sich in ihrer Position als Lehrerin nicht angreifbar zu machen – nie eingetreten; sie engagierte sich friedenspolitisch, u. a. bis zu deren Auflösung 1990 in der Deutschen Friedens-Union (DFU) – eine Tätigkeit, die nicht nur sie „sehr gemocht“, sondern die ihnen beiden auch „wichtige Freundschaften“ eingebracht hatte.

Mit Klaus und Christina Lipps im Gespräch am 25. Juni 2020 in Baden-Baden.

Klaus Lipps ist heute nicht mehr Mitglied der DKP. 1988 hat er sich von der Partei getrennt. Das hat teilweise mit seinem Kampf gegen das „Berufsverbot“, denn hierbei, das sagt das Ehepaar offen, war die „Unterstützung durch die DKP […] nicht sehr groß“ gewesen. Die Partei hätte im Allgemeinen überhaupt „wenig Ahnung“ von den Schwierigkeiten um die „Radikalen-Abwehr“ im öffentlichen Dienst gehabt. Man nahm es ihm dort sogar „krumm“, dass er aufgrund seiner beruflichen Situation und der Probleme, die ihm die Zugehörigkeit zur DKP in diesem Zusammenhang erst eingebracht hatte, keine weiterführenden Ämter oder Funktionärstätigkeiten für die Organisation übernehmen wollte. Auch, dass Lipps und seine Mitstreiter in der Sache der „Berufsverbote“ stark die Öffentlichkeit suchten, führte zu Differenzen mit der Partei. Lipps befand sich folglich in einer „Zwickmühle“: Zum einen stellte die DKP deutliche Ansprüche an ihn, zum anderen konnte er, wollte er erfolgreich aus den Verfahren auf Basis des „Radikalen“- bzw. „Schiess-Erlasses“ herauskommen, um weiterhin als Lehrer arbeiten zu dürfen, dort keine entscheidenden Funktionen übernehmen – gerade weil er und seine anwaltliche Vertretung sich immer wieder auf die „bloße Mitgliedschaft“ in der DKP berufen haben. Daneben kam es für ihn jedoch auch nicht infrage, noch während der Zeit seiner „Berufsverbots“-Verfahren, aus der DKP auszutreten – das wäre ihm als „zu Kreuze kriechen“ vor dem Oberschulamt und letzten Endes vor der Regierung erschienen. Seine Gesinnung jedoch hat Lipps bis heute nicht grundlegend geändert.

Seit 2011 ist Klaus Lipps Sprecher der Initiative „40 Jahre Radikalenerlass“ in Baden-Württemberg, die bei ihm und seiner Frau in Baden-Baden selbst gegründet wurde. Er ist zudem Sprecher des „Bundesarbeitsausschusses der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Rechte“. Die gemeinsame Arbeit im Sinne der Aufarbeitung der Geschichte des „Radikalenerlasses“ und der Schicksale der hiervon Betroffenen ist Klaus und Christina Lipps ein besonderes Anliegen. Sie wollen eine Öffentlichkeit für das Thema schaffen und auch jungen Menschen dessen Bedeutung und Tragweite klar machen. Zusammen mit anderen Betroffenen und Unterstützern fordern sie Rehabilitierung, Entschuldigung, Aufarbeitung und Entschädigung bezüglich der Auswirkungen des „Extremistenbeschlusses“. Ihr langfristiges Ziel hierbei: „Weitermachen“, in der Initiative „solange arbeiten wie wir können“ und deutlich machen, dass „wir nie Verfassungsfeind[e]“ waren.

Wir danken Klaus und Christina Lipps für das Gespräch.

Zum Weiterlesen

Akten zum Fall Klaus Lipps im Hauptstaatsarchiv Stuttgart und im Hamburger Institut für Sozialforschung.

„Aufrechte Demokraten leiden unter staatlichen Repressionen“. Ein Gespräch mit Klaus Lipps, in: jw, 2.10.2019, URL: [https://www.jungewelt.de/artikel/364025.kritik-am-verfassungsschutz-aufrechte-demokraten-leiden-unter-staatlichen-repressionen.html] (14.12.2020).

Falldarstellung Klaus Lipps für den Runden Tisch in Baden-Württemberg, 2015, URL: [http://www.berufsverbote.de/tl_files/RT-BW/Fall_LippsK.pdf] (14.12.2020).

Gunkel, Christoph, „Der Feind im Klassenzimmer“, in: Spiegel online, 27.1.2012, URL: [https://www.spiegel.de/geschichte/40-jahre-radikalenerlass-a-947468.html] (14.12.2020).

Löhle, Jürgen, „Der zähe Kampf gegen das Berufsverbot“, in: taz, 21.1.2012, URL: [https://taz.de/!623932/] (14.12.2020).

Stiefel, Susanne, „Lipps Liste“, in: Kontext Wochenzeitung, 22.3.2017, URL: [https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/312/lipps-liste-4249.html] (14.12.2020).

3 Gedanken zu “„Es war klar, die hören nicht auf.“ Klaus und Christina Lipps im Gespräch

  1. Frank

    Hallo
    Ich würde gerne etwas an Klaus Lipps persönlich schreiben, bin ein ehemaliger Schüler von ihm.
    Ginge das auf direktem Wege?
    Viele Grüße
    Frank

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